Mit Achtsamkeit in der Familie leben

Familienleben
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Mit Achtsamkeit in der Familie leben

Burn-out, nachhaltig, entschleunigen – an den aktuellen Modewörtern lässt sich gut die vorherrschende Stimmung in unserer Gesellschaft ablesen. Zurzeit begegnet uns verstärkt die „Achtsamkeit“. Den etwas altmodischen Begriff können wir mit „richtig bei der Sache sein“ übersetzen – eine Reaktion auf unsere zunehmende Hektik und Überforderung. Jetzt also achtsam durch den alltäglich Familie- und Job-Spagat. Ein Selbstversuch.

Zum Glück stand ich heute früh an fünf roten Ampeln, die mich erinnern konnten, achtsam zu bleiben. Nein, das ist kein Blödsinn, denn: Ich fahre täglich viel Auto und erlebe entsprechend viele rote Ampeln, die ich mir jetzt als persönliche „Achtsamkeitsglocke“ ausgesucht habe, wie es Amber Hatch* in ihrem Buch benennt. In Asien läuten oft Glocken, um an die Achtsamkeit zu erinnern. Hier bei uns hört man sie nicht so oft, dafür gibt es anderes, das als Signal für mehr Achtsamkeit dienen kann. Vielleicht der Hund, der dauernd Gassi will oder die knarrende Haustreppe.  Oder eben jede rote  Ampel auf meinen täglichen Strecken zum Besinnen auf das, was gerade ist: die Fahrt im wohlig geheizten Auto mit meiner Lieblingsmusik. Und eben nicht mit dem Kopf schon am Arbeitsplatz oder gedanklich im Terminkalender.

Was genau heißt Achtsamkeit?

Achtsamkeit heißt vollständig bei einer Sache zu sein, in dem jeweiligen Moment, in dem wir uns etwas oder jemandem widmen. Amber Hatch formuliert dabei auch treffend, was wir durch Achtsamkeit gewinnen können: „ Wenn wir uns achtsam verhalten, nehmen wir das Leben so wahr, wie es wirklich ist. Wenn wir achtsamer werden, nehmen wir unser Ich als weniger getrennt von allem wahr und fühlen uns stärker mit der Welt verbunden. [..] Wenn wir achtsam sind, sehen wir wohin unsere Gedanken fließen, statt von ihnen mitgerissen zu werden.“ Die Autorin empfiehlt Meditation als einen Weg zu mehr Achtsamkeit – unsereins ist schon froh, wenn es gelingt, täglich immer wieder einmal inne zu halten und bewusst zu atmen.  Das zählt aber auch als Anfang.

Achtsamkeit ist das Gegenteil von Multitasking

Mit zunehmendem Alter bricht die von mir selbst stets so hoch gelobte Multitasking-Fähigkeit ein. Vielleicht habe ich auch einfach keine Lust mehr, viele Dinge gleichzeitig zu machen. Zu oft erlebe ich, dass diese zwar meist zufriedenstellend erledigt werden, ich später aber oft nicht mehr weiß, was genau ich alles vereinbart oder erlebt habe. Über viele schöne Momente meines Lebens gehe ich hinweg, weil ich zu beschäftigt bin, um sie wahrzunehmen. Ein Punkt für Madame Hatch, die natürlich für das „Single-Tasking“ plädiert und uns Hektikern empfiehlt, die eigene Achtsamkeit zu trainieren, indem wir sie mit alltäglichen  Tätigkeiten verknüpfen, wie etwa Geschirr spülen, Duschen oder Wäsche aufhängen. Dass eine Aufgabe leichter zu bewältigen ist, wenn man sich ihr konzentriert widmet, ist eine Binsenweisheit. Dennoch versuchte ich erst gestern wieder beim Kochen einen komplizierten Sachverhalt am Telefon zu lösen anstatt später zurückzurufen. Das Ergebnis: ein konfuses Gespräch und ein übergekochter Nudeltopf samt komplett überschwemmter Kochplatte. Doppelte Arbeit statt Zeit gespart.

Achtsam sein mit unseren Kindern

Wie wichtig Achtsamkeit von Eltern im Zusammensein mit ihren Kindern ist und wie positiv sich achtsame Erziehung auswirken kann, widmet Hatch mehrere Kapitel. Beisammen sein ist mehr als die nur physische Anwesenheit. Wie oft sind wir mit den Gedanken woanders, während wir mit den Kindern spielen oder uns unterhalten? Oder haben sie unterwegs an der einen Hand und in der anderen das Handy? In ihrem Plädoyer für mehr Einfachheit thematisiert Hatch natürlich auch den Fernseh- und Medienkonsum. Dabei leitet sie fair dazu an, das eigene Verhalten zu hinterfragen, zeigt achtsame Wege auf und weiß auch um die alltäglichen Stress-Situationen mit Kindern. Den Einwand, für Achtsamkeit zu beschäftigt zu sein, bügelt sie elegant ab: „Auch in der Eile können wir achtsam sein.“ Am originellsten fand ich folgende Idee: „Es war ein Donnerstag voller Stress und Hektik. Also entschied ich mich, den Tag langsamer anzugehen und machte die Donnerstage zu langsamen Donnerstagen.“ Wenn ihr demnächst also einen Kleinwagen im Schneckentempo vor Euch habt, trainiere ich vermutlich gerade mal wieder intensiv meine Achtsamkeit…


* Dieser Text basiert auf dem Buch „Achtsam Eltern sein. Für ein gelassenes und glückliches Familienleben“ von Amber Hatch (TRIAS 2018 | 247 S. | 17,50 € | ISBN 978-432-10668-7). Auf den ersten Blick wirkt es etwas esoterisch, doch wer sich von Sätzen wie „so wächst das Glück in Ihrer Familie“ auf dem Cover nicht abschrecken lässt, hat einen wirklich gut strukturierten Wegweiser für mehr Achtsamkeit in Händen. Mit vielen hilfreichen und vor allem alltagsnahen Tipps und – für alle, die die praktizierende Buddhistin dann doch zur Meditation verführen kann – Übungen und Einstiegshilfen dafür.  


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